– Basler Zeitung vom 05.09.17

Teure Spitzenmedizin

Kantone scheitern mit dem Planen von Eingriffen

Wenn in den nächsten Wochen die Prämien für die Krankenkassen verkündet werden, dürfte wieder ein Aufschrei durch die Schweiz gehen. Erwartet wird erneut ein Anstieg von vier bis fünf Prozent. Für eine mittelständische Familie mit Kindern, die zu viel verdient, um Prämienverbilligung zu erhalten, werden die Prämien zur Belastung.

Mit der Entrüstung dürften sich die verschiedenen Akteure auch die Verantwortung für den Prämienanstieg zuschieben. Im Zentrum des Gesundheitswesens stehen die kantonalen Gesundheitsdirektoren. Sie haben zahlreiche Aufgaben, die ihnen manchmal auch in die Quere kommen. Das kann besonders gut am Beispiel der Planung der «hoch spezialisierten Medizin» gezeigt werden, für die sie seit mehr als acht Jahren zuständig sind. Statt nur die wirklich seltenen Operationen an einige wenige Zentren zu vergeben, wurden auch Eingriffe, die mehrere hundert Mal gemacht werden, in die Planung einbezogen und an bis zu 37 Spitäler, teilweise nur wenige Kilometer voneinander entfernt, vergeben. Gegen die ersten Entscheide gingen rund hundert Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht ein, die dann wegen Verfahrensfehlern gutgeheissen wurden.

Basler wirft den Bettel hin

Seither kommen die Arbeiten kaum mehr vom Fleck. Dieses Frühjahr warf Daniel Scheidegger, der Präsident des Fachorgans der Kantone und frühere Chefanästhesist aus Basel, den Bettel hin. Der zuständige Bundesrat Alain Berset sieht gemäss einem Bericht vom letzten Jahr keinen Grund, einzugreifen, das Gesetz gäbe ihm allerdings die Möglichkeit dazu.

 

«Treten an Ort» bei der Spitzenmedizin

Die Kantone sollten die hochspezialisierte Medizin planen, kommen aber nicht vorwärts

Vor bald zehn Jahren hat das Parlament beschlossen, dass die «hochspezialisierte Medizin» an den rund 300 Spitälern, also seltene und besonders schwierige Eingriffe, von den Kantonen koordiniert werden sollen. Ziel ist es, bei diesen Leistungen die Qualität zu verbessern und Geld zu sparen. Seit 2009 sind die Kantone an der Arbeit, aber sie kommen nicht vom Fleck.

Der Grund ist, dass die Kantone im Gesundheitswesen viele Aufgaben haben, die ihnen in die Quere kommen. Sie sind zum Beispiel Spitalbesitzer, Spitalplaner, Garanten der Versorgung und zudem Preisfestsetzer. Bei der hochspezialisierten Medizin kommt hinzu, dass unklar ist, welche Eingriffe überhaupt zu planen sind – und wie. Die ersten Listen mit Eingriffen und Zuteilungen wurden vor vier Jahren erlassen – und umgehend mit rund hundert Beschwerden vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten.

Private Anbieter fühlten sich zu wenig gut berücksichtigt und mittlere öffentliche Spitäler von den Grossen an den Rand gedrängt. Die Gesundheitsdirektoren mussten sich anhören, dass sie den Auftrag des Parlamentes dazu missbraucht hätten, den Wettbewerb zwischen den Spitälern auszuschalten – und zwar bei sehr viel mehr Eingriffen als der eigentlichen «hochspezialisierten» Medizin.

Verfilzung bei den Kantonen

Schuld daran sind auch die Gesundheitsdirektoren selber. Sie bildeten für die Planung dieser Eingriffe zwei Organe: ein Fachorgan aus Medizinern, das die Entscheide vorbereiten sollte, und ein Beschlussorgan aus Regierungsräten, un die Planung zu beschliessen.

Das Problem dabei war jedoch von Anfang an die enge Verfilzung zwischen beiden und die Verbindungen zu den Spitälern. So war die Präsidentin des Beschlussorgans, die St. Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann (SP), gleichzeitig Präsidentin des Verwaltungsrates der St. Galler Spitäler. Sie entschied also darüber, ob ihre Spitäler in die Listen aufgenommen wurden oder nicht. Die private Konkurrenz wurde nur berücksichtigt, wo es nicht anders ging. Das Parlament hatte vor zehn Jahren mit der neuen Spitalfinanzierung eigentlich genau das Gegenteil angestrebt, nämlich mehr Wettbewerb.

In einem Entscheid gab das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden 2014 recht. Die Gesundheitsdirektoren erneuerten daraufhin das Fachorgan und das Beschlussorgan. Erstmals nahmen auch Vertreter von privaten Spitälern Platz darin.

Manager statt Fachleute

Trotz diesen Wechseln in den Organen ist die Situation nicht besser geworden. Im Beschlussorgan stellt die CVP fünf von zehn Mitgliedern. Diese Regierungsräte können einen Entscheid jederzeit verhindern. Das Fachorgan wurde vollständig ausgewechselt. Es dominieren jedoch weiterhin Mediziner, die aus den Kantonen der Gesundheitsdirektoren im Beschlussorgan kommen.

In der Mehrheit sind es nicht Ärzte mit besonderem Fachwissen, sondern solche mit Managerjobs an grossen Spitälern. Ausländische, und damit wirklich unabhängige Experten gibt es nur gerade zwei, das vorgeschriebene Minimum. Dieses Frühjahr warf der Präsident des Fachorgans, Daniel Scheidegger, der frühere Chefanästhesist an dem Unispital Basel, den Bettel hin, es sei nur «ein Treten an Ort» sagte er dem St. Galler Tagblatt.

Sein Sitz im Gremium ging an Peter Itin, Chefarzt Dermatologie in Basel. Damit hat der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (CVP) weiterhin einen direkten Vertreter im Fachorgan. Auch Zürich, Waadt, Luzern und Genf gingen bei Ersetzungen jeweils so vor. Die Verfilzung zwischen Fachorgan und Beschlussorgan blieben so bestehen.

Heidi Hanselmann musste unter Druck des St. Galler Parlaments ihr Präsidium im Verwaltungsrat der St. Galler Spitäler aufgeben. Der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia ist jedoch weiterhin Verwaltungsrat des Genfer Unispital und sitzt im Beschlussorgan, das die hochspezialisierten Eingriffe zuteilt. Doch damit nicht genug: Im Fachorgan sitzt Arnaud Perrier. Er ist ärztlicher Direktor am Genfer Unispital und damit Mauro Poggia unterstellt.

Sollten sich die Kantone nicht einigen, droht ein Eingriff des Bundesrates. Schon 2014 drohte Gesundheitsminister Alain Berset damit, er werde Ende Jahr eine Bilanz ziehen und sich zu überlegen, ob er von der Kompetenz im Gesetz Gebrauch machen werde, die Planung selber vorzunehmen. Das wäre dann mindestens eine Vorstufe für eine gesamtschweizerische Spitalplanung, was nicht im Sinne der Gesundheitsdirektoren sein kann. Im Mai 2016 legte Berset seinen Bericht vor und verzichtete auf weitere Schritte. Gleichzeitig hielt er den Druck auf die Kantone hoch. 2019 will er sich die Sache wieder ansehen.